Während in Dresden die Libertären Tage vorbereitet werden kommt die CDU nahe Konrad Adenauer Stiftung den Anarchist_innen vor Ort zuvor und veranstaltet selbst im Rahmen der „Sächsischen Schülerpolitiktage 2010″ ein dreitägiges Seminar zum Thema „Anarchie“. Hier ein paar Gedanken zu dem bürgerlichen Bildungsevent, das vom 18.-20.03. in der Dreikönigskirche stattfindet.
Manch eine_r wird schwer ins Grübeln gekommen sein, als er/sie im Internet auf die Ankündigung Symposium „Anarchie! Ordnung ohne Herrschaft?“ stieß. Welche Motivation versteckt sich also hinter der Themenwahl?
Die Konrad Adenauer Stiftung (Konrad Hermann Joseph Adenauer 1949-1963 Bundeskanzler der BRD) ist eine „Denkfabrik“ (auch think tank) d.h. eine Art Forschungsunternehmen. Dieses Unternehmen hat das Ziel zu Gunsten seiner Geldgeber_innen, also in diesem Fall der CDU, aktuelle politische Entwicklungen zu analysieren, Strategien zu entwickeln, öffentliche Debatten zu fördern (bzw. vorhandene in bestimmte Bahnen zu lenken) und Meinungsmache zu betreiben. Der Fakt, dass hier enorme finanzielle Mittel für die Ausrichtung einer Veranstaltung zum Thema Anarchie aufgewendet werden ist hierbei ein sicherer Indikator dafür, dass die Strateg_innen der CDU die stärker werdenden libertären Umtriebe als Gefahr wiederentdeckt haben.
Das Programm des Symposiums lässt dabei schon auf die eher ermüdende Argumentationslinie schließen, mit der hier versucht werden soll, libertäre Ideen zu diffamieren. So heißt es schon in der Einleitung:
„Anarchie (griech.) ~ Herrschaftslosigkeit. Ein Zustand absoluter Freiheit. Keine Pflichten, keine Unterdrückung. Was passiert, wenn jeder nur sich selbst verpflichtet ist? Welche Ordnung entsteht, wenn es keine Ordnung gibt?“
Hier lesen wir, wenn auch durch die Blume, das alte Klischee in dem Anarchie mit dem Recht des Stärkeren gleichgesetzt wird. Ist es nicht logisch, dass wann immer ich mich in einer sozialen Gemeinschaft bewege, ich auch Verpflichtungen eingehe? Die einzigen Möglichkeiten diesem gesellschaftlichen Gesetz zu entgehen, wäre a) der Verzicht auf jede soziale Kooperation oder b) die Erzwingung dieser mit Hilfe von Macht/Gewalt. Im Fall a) ist Leben nur noch auf primitivsten Level möglich, jedoch hätte dies nur für die Person die sich bewusst für diesen Weg entscheidet negative Konsequenzen. Im Fall b) ist der Zustand nicht herrschaftslos und somit keine Anarchie. Sobald Menschen in einer Gemeinschaft zusammen leben oder arbeiten, gehen diese auch Verpflichtungen ein. Diese Verpflichtungen haben sogar einen viel größeren Stellenwert, wenn dabei jede Form von Hierarchie und Gewalt vermieden werden soll. Wenn es keine Gesetze gibt und keinen Staat den ich nutzen kann um Menschen zu Handlungen (oder Unterlassungen) zu zwingen bin ich auf Kommunikation und gemeinsame Übereinkünfte (anstatt genereller Gesetze) angewiesen. Mensch könnte also sagen, das freiwillige Verpflichtungen im Zustand der Anarchie eine viel größere Rolle spielen würden, als in der heutigen Gesellschaft.
Auch sonst geht das Programm der Veranstaltung – wer hätte das gedacht – eher an jeder realen Diskussion um libertäre Ideen vorbei. So wird zum Beispiel am Sonntag ein Großteil des Programms mit einem Spaziergang durch die Neustadt und der Filmvorführung von „Animal Farm“ gefüllt. Auch bei der Auswahl des Filmes drängt sich der Eindruck aus, das hier alles zusammengewürfelt wird, was irgendwie mit „links“ zu tun hat, war George Orwells Film doch eine literarische Aufarbeitung der gescheiterten Oktoberrevolution die schließlich zum Stalinismus führte. Mensch darf hier wohl eine einfache Moral von der Geschicht à la revoltieren lohnt sich nicht erwarten. Mit ziemlicher Sicherheit wird hier der Stalinismus als Beweis für die Machtgier des Menschen herhalten müssen, ohne irgendeine Beleuchtung soziologischer Hintergründe oder Unterschiede zwischen anarchistischer und marxistischer Organisationstheorie.
Am nächsten Tag erwartet die Teilnehmenden wenigstens eine Veranstaltung zum Thema „Macht und Ordnung“ in der Anarchie und gleichzeitig eine der wenigen Gelegenheiten die es den Schüler_innen ermöglichen mit zu diskutieren. Das im großen und ganzen an einem gleichberechtigten Dialog mit den Jugendlichen kein Interesse besteht und dies von Seiten der Veranstalter_innen wohl an ihren Vorstellungen zum Umgang mit jüngeren Menschen liegt, wird gleich zu Beginn des Programmheftes deutlich wenn es heißt: „Ihr dürft mitreden: Bei den ersten Sächsischen Schülerpolitiktagen 2010.“
Kurz nach der Diskussionsveranstaltung folgt der vielleicht größte propagandistische Trumpf der Organisator_innen: Wie in Clockwork Orange tritt der geläuterte Vorzeigekriminelle Klaus Jünschke zusammen mit dem ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum auf. Unter dem Titel „Der Revolutionär! Geweihter Mensch oder hässliche Fratze des anarchistischen Machtkampfs?“ Klaus Jünschke arbeitete bis 1971 im SPK, einer sozialistischen Gruppe der damaligen Antipsychiatrie-Bewegung, mit. Nach der Kriminalisierung der Organisation schloss er sich der zweiten Generation der R.A.F. an. 1977 wurde er für die Beteiligung an einem Banküberfall, bei dem ein Polizist erschossen wurde, zu lebenslanger Haft verurteilt und 1988. begnadigt. Das die R.A.F. eine sozialistische Organisation war, alles andere als anarchistische Ziele verfolgte und in der Wahl der Mittel als auch in ihrer internen, hierarchischen Struktur alles andere als „anarchistisch“ war, sich darüber hinaus noch mehrfach von libertären Ideen distanzierte wird hier natürlich zufällig übersehen.
Am Samstag folgt ein großer Workshop und Kulturblock. Mensch könnt mutmaßen, das hier versucht wird nach 2 Tagen platter Propagands wenigstens mit Grafitti, Musik, Tanz und Theater noch ein paar Sympathien bei der aufmüpfigen Jugend zu erreichen, frei nach der Devise: „Ihr könnt ein wenig ausflippen, ihr dürft nur nichts verändern!“. Bleibt zu hoffen, dass sich die Teilnehmenden nicht von dieser staatlich angeordneten Rebellion einlullen lassen.
14 Uhr wird die Demokratie mal wieder mit der DDR verglichen und damit aufgehübscht, eine Argumentation die von der CDU seit Monaten gebetsmühlenartig wiederholt wird, obwohl sie rein garnichts über die tatsächliche Lebensqualität im heutigen Deutschland oder eine emanzipatorische Bewegung aussagt.
Abschließend gibt es noch eine anarchistische Party in der Straße E (für alle die mitfeiern wollen: Werner-Hartmann-Straße 2) und am Ende des Programms werden die Schüler_innen nochmal aufgefordert „nochmal richtig nachzudenken“. Im Text heißt es:
„Im radikalsten Sinne beschreibt Anarchie eine Ordnung, in der ein Jeder nur sich selbst, also seinem eigenen ICH verpflichtet ist. Es gibt keine übergeordnete Machtinstanz. Ein Zustand, den der Staatsphilosoph Thomas Hobbes als „Naturzustand“ bezeichnet. In diesem hat zwar jeder das Recht auf alles, doch dieses gemeinsame Recht auf alles ist so ziemlich dasselbe, als bestände überhaupt kein Recht. Wer sollte es denn durchsetzen – DU, und dann…?
Fraglich ist ebenso, ob dieser Zustand wirklich als Chaos beschrieben werden kann. Tauscht der
Anarchist nicht nur die Ordnung des Rechts, durch die Ordnung des Natur-Rechts, den „Survival of the Fittest“? So verändert er zwar die Voraussetzungen von Ordnung, schafft eine vermeintliche Un-Ordnung, aber keine Ordnungslosigkeit. Vielleicht ist auch die Ordnung des Einen die Un-Ordnung des Anderen, und andersherum?
Gleiches gilt für den Aspekt der Freiheit. Dort wo die Freiheit grenzenlos ist, ist auch die Ohnmacht am größten.
„Insofern bilden die anderen zunächst unsere Hölle, weil sie uns dazu verdammen, etwas zu sein, was wir nicht sind, und uns damit unserer Freiheit berauben, uns zu dem zu machen, was wir wirklich sind.“ (Sartre)
Ist das Recht auf alles, damit eine wirkliche oder nur eine geliehene Freiheit, geliehen von den Anderen? Ist deine Freiheit vielleicht wichtiger, als die der Anderen? Und ist Anarchie damit nicht nur die Freiheit von Narren?“
Interessant ist, dass die KAS hier offensichtlich der Meinung ist, es gäbe für den Menschen andere Verpflichtungen, als die die er sich freiwillig wählt. Hier wird aus dem Zwang, den repressive Organe heute auf uns ausüben eine positive Verpflichtung gemacht.
Menschen haben, auch jenseits von Solidarität und sozialen Bedürfnissen, ein Interesse daran gemachte Vereinbarungen einzuhalten. Wenn die freiwillige Vereinbarungen zwischen zwei Menschen nicht eingehalten werden, z.B. die der Gewaltfreiheit, so bedroht dies die weitere Kooperation zwischen den Menschen. In einem System in dem Menschen Dinge nicht kaufen oder durch Macht an sich reißen können, ist es besonders wichtig in einem guten Verhältnis zu seinem sozialen Umfeld zu stehen. Es gibt eine Vielzahl von guten Gründen nicht mit Macht oder Gewalt gegen Menschen vorzugehen, wer dies abstreitet ist wohl in Wahrheit der gewaltgeile Chaot. Das weiterhin nie jemand, außer konservative und rechte Propagandisten, behauptet hat mit Anarchie solle eine Unordnung oder ein Faust-Recht durchgesetzt werden und dass anarchistische Theorie und Praxis zu großen Teilen darauf ausgelegt sind, diese beiden Zustände zu vermeiden, sollte bekannt sein. Weiterhin ist eine der anarchistischen Grundsätze das die eigene Freiheit nur so weit geht, wie die Freiheit der anderen davon nicht angetastet wird. Alles andere erfordert Kommunikation und Vereinbarungen.
Fazit:
Die Konrad Adenauer Stiftung stellt verschiedene Vertreter_innen von Kirche und CDU als Expert_innen für Anarchie dar. Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass es bei der Kritik libertärer Ideen bei Klischees auf etwas geschönten Stammtischniveau bleibt.
Wer das Niveau der Veranstaltungen positiv oder negativ beeinflussen will, kann das am Donnerstag 18:30 Uhr („alternativer Stadtrundgang“) am Freitag 20 uhr (R.A.F.-Diskussion, öffentlich) und Samstag ab 18 Uhr (Werner-Hartmann-Straße 2, Dresden) tun. Weiterhin gibt es während des dreitägigen Symposiums eine angemeldete Kundgebung vor der Dreikönigskirche. Dort könnt ihr euch mit eigenen Ideen einbringen und den Menschen am Infostand Gesellschaft leisten.
Wirkliche Infoveranstaltungen über Anarchie gibt es über vom 1.-8. Mai: Libertäre Tage Dresden 2010